Konferenzraum, typisch beinahe-leer: Topfpalme in einer Ecke, Whiteboard in einer anderen, ein bisschen rätselhafte Elektronik.
Hauptsächlich natürlich: Tisch, oval. Zu rund konnte man sich nicht durchringen.
Der Teppichboden ist so etwas wie schwarzgrün, die Tischplatte grau, die Stühle gepolstert aber nicht übermäßig bequem.
Der Geruch hat etwas entfernt zahnarztartiges, ist ansonsten aber einfach der wenigsagende eines öffentlichen Gebäudes.

Besetzt ist das Zimmer mit einigen Menschen. Sagen wir, je zehn Frauen und Männer, jemand ist um Gleichberechtigung bemüht, alle – ja, alle. - in Anzügen. Dunklen. (Vermutlich wäre es möglich, mehr darüber zu sagen. Dem Erzähler fehlt jedoch das erforderliche Fachwissen.) Krawatten hängen ihnen um die Hälse – wiederum: allen – und Aktentaschen stehen ihnen zu Füßen. Kaffeebecher übersähen den Tisch. Geplapper; Euphemismus: angeregte Unterhaltung. (Es ist vorhanden. Mehr zu sagen wäre Wortverschwendung.)

Einer der Männer trägt eine Maske – eine spezielle Vortragsmaske aus irgendeinem Kunststoff (vermutlich), sie macht Gesichtszüge unkenntlich, aber lässt Mimik erkennen. Im Moment ist sie unbewegt. Übrigens ist der Anzug dieses Maskierten etwas billiger als die der übrigen, oder er wäre es, wenn der Erzähler dies erkennen könnte.(Kann er, wie gesagt, nicht.) Wahrscheinlich ist er auch ein wenig jünger als die anderen.
Er sitzt nicht abseits, aber es könnte genauso gut so sein. Vor ihm stapelt sich Papier, offenbar leer, er scheint dennoch ganz darin vertieft.

Wir haben uns lange genug mit der Szenerie aufgehalten, darum tritt nun der Vorsitzende ein. Der Vorsitzende. Man wollte es mit der Gleichberechtigung nicht übertreiben.
Auch er trägt eine Maske, keine zum vortragen, eine starre. Ein Wolf, vielleicht. Eine starre, aber ausdrucksstarke Wolfsmaske. Handgefertigt, Unikat.
Kleidung formell natürlich, vermutlich einen Tick teurer als unter den Versammelten üblich. Bestimmt.

Er tritt ein, wie gesagt, schließt die Tür hinter sich, stellt sich an ein Kopfende des Ovals (das andere ist leer). Die bisher plappernden Anwesenden ziehen nun ebenfalls Masken (vom Stil ähnlich wie die des Vorsitzenden, Tiere und verzerrte Menschen) hervor und über das Gesicht, rücken sich mit ihren Stühlen zurecht. Aufmerksamkeit herrscht.

„Meine Damen und Herren“, beginnt er, „es trägt in der heutigen Sitzung vor: Martin Sotschek.“ (Der Name wurde zufallsgeneriert. Er sollte nicht zu deutsch und nicht zu ungewöhnlich klingen.) Seine Hand weist, nicht halbherzig, aber doch eher vage, Richtung Vortragsmaskenträger. Keine Überraschung. Weiter sagt er nichts und setzt sich. „Bitte sehr.“

Der Angewiesene schreckt ein wenig auf, erwartungsgemäß nervös, wirkt aufgeregt. Sitzgelegenheit zurückschieben, aufstehen. Sortiert die Blätter vor sich hastig um. Sie scheinen mir immer noch leer, mag täuschen.

Räuspern. „Es...ist mir ein Ehre.“

Pause.

„Ich...“

Stocken. Umsehen, unsicher natürlich.

Reißt sich zusammen, sichtlich. Blickt auf die Blätter vor sich, wieder auf, in die Runde.

Ausatmen. Linke faustballt, Rechte stützt sich auf den Tisch. Schließt den Mund, öffnet ihn wieder. Sagt dabei nichts. Fixiert den Versammelten ihm gegenüber. Senkt den Blick wieder, nimmt das oberste Blatt seines Stapels auf. Gestikuliert damit. Es ist wirklich leer.

Nach einer Minute vielleicht, oder zwei, schüttelt er leicht den Kopf, wirft das Blatt zur Seite. Das nächste wird aufgenommen. Über dem Rand der Maske ist Schweiß zu erkennen. Die unmaskierten Ohren sind bereits seit längerem rot angelaufen.

Er hebt wieder zu sprechen an, man hört einen gerade-noch-nicht-Laut – er bricht ab. Kopfsenken, überfliegt das leere Blatt, saugt die Luft ein, stößt sich nicht aus, sondern zieht die Augen zusammen, den Mund ein, geradezu wütend, ja, denn die Faust donnert neben den Papierstapel – nicht zu laut allerdings – er greift zwei, drei neue Blätter, wedelt damit, lässt sie fallen.

Die nunmehr leeren Hände vollführen eine vermutlich frustrierte Schleuderbewegung vom Körper weg. Dann hebt er sie wieder und lässt sie, schneller, nach vorne, fallen: eine Wegwerfgeste. Kopfschütteln. Achselzucken. Er wendet sich zur Seite: Konferenzraumfenster; zur anderen: Vorsitzender, den blickt er hilflos an, oder entschuldigend. Der Wolf regt sich natürlich nicht.

Blick zurück auf den Stapel, einiges noch übrig. Blättern, überfliegen. Auf keiner Seite lässt sich irgendeine Form von Zeichen erkennen. Er langt beim letzten an. Fixiert es. Schwache Nickbewegungen.

Der Kopf hebt sich noch einmal, scheins entschlossen, die Kiefer öffnen sich, weiter als bisher. Einen Moment lang zögert er sichtlich. Dann klappt der Mund wieder zusammen. Das Aufeinanderschlagen der Zähne ist hörbar. Das Kinn sackt vorwärts, die Augen schließen sich, der Torso senkt sich etwas vorwärts, man könnte es als Verbeugung deuten. Offenbar ist es eine, denn als die Finger sich über dieser letzten Seite zusammenlegen, beginnen die Versammelten zu applaudieren. Laut, keineswegs zaghaft.

„Danke sehr.“ Sehr leise, gemurmelt eher. Mitten im Beifall greifen seine Hände nach oben und ziehen die Maskierung ab. Der Applaus erstirbt sofort. Mimiken sind natürlich nicht erkennbar und zum Flüstern lässt sich niemand hinreißen; dennoch eindeutig: Man ist schockiert.

Der Vorträger sieht auf, senkt die Hände. Das Gesicht ist, wie nun zu erkennen, mit einer dicken Schicht weißer Farbe überzogen. Lippen rot, Augen schwarz bemalt, stilisierte Tränen.

Der Beifall ist stürmisch.