2 Texte, als Lückenfüller für die Patchpause ;-)

Das Vaterunser

Die Leute kamen zu Jesus und fragten „Herr, wie sollen wir beten?“ Der Angesprochene verdrehte die Augen.
„Leute. Wie oft ich hab ich jetzt versucht es euch zu erklären? Es kommt nicht drauf an, was ihr sagt. Es kommt nicht drauf an, wie ihr es sagt. Es kommt auch nicht drauf an, irgendwelche komische Rituale zu vollziehen, okay?! Es kommt drauf an, was ihr wollt, was ihr denkt, und was ihr fühlt, und dass ihr ehrlich seid. Beim Beten geht es darum, dass ihr Gott Respekt erweist, und dass ihr um das bittet, was ihr wirklich wollt und braucht. Versteht ihr?“
„Gewiss Herr.“ Die Leute standen da und schauten belämmert, was den Messias daran erinnerte , warum sich die Hirtenmetaphern seit hunderten von Jahren ungebrochener Beliebtheit erfreuten.„Heilige Scheiße, muss ich euch alles einzeln vormachen? Na schön... also, wenn es nicht anders geht. Ungefähr folgendes: Vater unser im Himmel, geheiligt sei dein Name; dein Reich komme, dein Wille geschehe im Himmel und auf der Erde. Unser täglich Brot gib uns heute. Vergib uns unsere Schuld, und wir vergeben unseren Schuldigern. Führe uns nicht Versuchung – erlöse uns vom Bösen. Denn dein sind Reich und Kraft und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. So in etwa...“

Etwa zweitausend Jahre später wurden von einem Priester in der Grabeskirche zu Jerusalem als Buße fürs Fluchen 20 Vaterunser verhängt Jesus, unten in seinem Grab, der dies bemerkte, entschied, dass ihm das nun endgültig keine weitere Umdrehung wert sei und murmelte nur: „Die Deppen kapierens echt nie.“

PS: Ich entschuldige mich bei allen Gläubigen für die Blasphemie. Sie ist leider unumgänglich.
PPS: Ich bin Atheist.

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Einfall

Wir haben ein Problem mit dem Einfall von Gedanken. Wenn man genau ist, müssen es wohl sogar viele Einfälle, von ganzen Gedankenhorden, sein. Fortwährend. Unbeobachtet haben sie sich versammelt, jenseits der Grenzen des Verstandes, und nur auf einen günstigen Moment zum Zuschlagen gewartet... nun ja, genau genommen bin ich mir da nicht so sicher. Vertreter von Logik und Skeptik versichern mir, dass ich keine Ahnung haben könne, was jenseits der Grenzen des Verstandes vor sich gehe, und da haben sie wohl recht, wie sie ohnehin meistens recht haben, was allerdings wenig hilft, weil es ihnen trotz ihres Rechts an Durchsetzungsvermögen fehlt. Vielleicht ist im Grunde eher das die Ursache für das Chaos in meinem Verstand, und nicht die Invasoren, die, wenn ich es recht bedenke, ja vielleicht auch gar keine richtigen Invasoren sind. - zumindest habe ich sie nie einfallen sehen. Selten jedenfalls, und nie in Horden. Die Horden sind vielmehr immer plötzlich da, wenn man in einem müßigen Augenblick gelangweilt in die Gedankengänge starrt, sieht man sie plötzlich verstopft von Heerscharen, die behaupten Ideen zu sein. Dabei sind die meisten von ihnen hässlich, oder verkrüppelt, manche sind einfach nur ganz und gar obszön, viele sadistisch oder in sonstiger Weise von schurkischer Gestalt. Eine erstaunliche Zahl hängt einer Verschwörungstheorie an.

Nach ihrem Quellennachweis zu fragen, ist zwecklos. Die meisten haben gar keinen; manche zeigen einen alten zerfledderten Zettel vor, auf dem aber praktisch nichts mehr zu lesen ist. Die meisten von ihnen bekommen einen neuen Nachweis ausgestellt, auf „irgendwo gehört“. Es gab auch mal Stimmen, die dafür waren, sie wie Einheimische zu behandeln, aber der Vorschlag ist lächerlich. Man sieht doch, wenn einer nicht von hier ist, die Struktur ist ganz anders, man braucht überhaupt nicht so zu tun, als könnte solche Gedanken aus unserem Kopf stammen. Damit will ich nichts gegen die Zuwanderer gesagt haben. Da sind ein paar echt originelle Typen dabei. Nur, eben ganz eindeutig nicht von hier.
Sicher hatten die Stimmen bei ihrem Vorschlag auch unser Prestige im Sinn. Ein Kopf mit vielen eingeborenen Gedanken steht natürlich gut da... aber diesen Völkerhaufen zu eigenen zu erklären, hat keinen Zweck, das muss man einfach einsehen – es wäre nur lächerlich.

Ich sage oft, dass am schlimmsten die Metaphern sind; aber das stimmt nicht. Es ist zwar richtig, Metaphern sind in der überwiegenden Mehrheit eingebildete Schnepfen, die so tun, als wären sie die Erklärung für alles; ja, oft genug schwingen sie sich zur Allegorie auf, und meinen, letzte Weisheiten verkünden zu können, und wenn man sie dann fragt – etwa, wenn sie mit jemandem von der Logik konfrontiert werden, zucken sie nur lächelnd mit den Schultern. „Bin ja nur eine Metapher, was wollt ihr denn?“ Grässlich arrogante Schnepfen, wie gesagt. Trotzdem nicht die schlimmsten. Viel schlimmer sind die Sätze. So unscheinbar sie auch wirken mögen auf den ersten Blick, kaum ein paar Wörter groß und eher schlicht in Gestalt und Denken, selten überhaupt auch nur mit einem einzigen Nebensatz ausgestattet, und kaum ernst zu nehmen, wie sie so als einzige Parole immer nur sich selbst wiederholen. All das verleitet allerdings dazu, sie zu unterschätzen. Ihre schlichte Art, niemandem zu gehorchen als sich selbst; wie sie unbeugsam allein die Grammatik als Gesetz anzuerkennen bereit sind (und selbst das oft nur zum Schein – fragt man nach, heißt es meist, sie gehorchten ja, nur eben einer anderen Grammatik...) wie sie die Weisungen der Logik ignorieren und meinen, die Logik sollte lieber ihnen gehorchen statt umgekehrt – diese Dinge üben eine erstaunliche Anziehungskraft aus, offensichtlich; jedenfalls passiert es häufig dass ein einzelner schlichter Satz rasch eine beträchtliche Anhängerschaft von Gedanken um sich geschart hat, obwohl man ihn nur wenige Augenblicke unbeobachtet ließ. Zu diesen Anhängern gehören, was mich immer wieder überrascht, häufig nicht nur kleinere Phrasen und arbeitslose Nebensätze – nein, häufig schließen sich auch weit komplexere Gedanken einem Satz an, ja, ganze Texte sollen sich bereits in den Dienst eines einzelnen schlichten Satzes gestellt haben. Man will es nicht glauben.
Leider sorgen solche Zusammenschlüsse so gut wie nie für mehr Ordnung. Nein, der Haufen zieht lärmend und pöbelnd durchs Gehirn, lästert über andere Gedanken, singt Spottlieder auf den Verstand – kurz, er tut alles und selbst widersprüchliches, solange es ihm nur Aufmerksamkeit sichert. Zusätzlich fangen die Chaoten binnen kürzester Zeit an, sich auch untereinander zu streiten, vielleicht macht irgendein Skepsispartikel Zweifel an der Legitimität des Grundsatzes geltend, vielleicht sieht mal wieder eine Metapher ihre Stunde gekommen und beansprucht die Führung, oder ein paar von den aufmüpfigeren Einfällen ist die Bewegung mit einem Mal nicht mehr radikal genug – vielleicht auch noch etwas ganz anderes oder mehrere der genannten – jedenfalls ist praktisch jeder dieser Haufen fortwährend nicht nur mit dem Rest der Gedankenwelt, sondern auch noch mit sich selbst im Krieg. Dass das resultierende Durcheinander unbeschreiblich ist, muss wohl nicht erwähnt werden.

Wenn sie sich wenigstens irgendwie nützlich machen würden! Ein beachtliche Zahl von diesen Haufen hätten das Zeug zu wirklich guten Texten gehabt - stolze Repräsentanten unseres Gemeinwesens in der Welt hätten sie werden können. Leider aber sind diese Gedankenhaufen kaum zu irgendwas zu bewegen – und am allerwenigsten zur Verschriftung. Es braucht nur das Wort „schreiben“ zu fallen, und schon ist kaum noch einer von der gerade noch so lautstark um Aufmerksamkeit bemühten Bande aufzufinden. Was natürlich nicht heißt, dass dann Ruhe wäre – üblicherweise sieht dann einfach eine sich weniger vom Schreibprozess bedroht meinende Gruppierung die Gunst der Stunde gekommen...
Ein paar Mal haben wir schon versucht, eine dieser „Gesellschaften“ mit Gewalt in die Schriftlichkeit zu zwingen. Meistens war das Resultat enttäuschend. Von dem, was wir hörten, verwandelten sich die meisten der eben noch rebellischen, chaotischen, aber doch zumindest originellen und oft auch witzigen Gedanken, kaum, dass sie mit dem Papier in Kontakt kamen, in staubtrockene Langweiler, bieder, spießig, und hatten nur noch Altbekanntes zu sagen. Ein paar wenige schienen sich ihren alten Charakter auch in der Schriftform noch bewahren zu können, aber das waren wohl wirklich nur Ausnahmen.

Allgemein glauben die meisten ja, man würde beim Schreiben nur kopiert... ich habe mit einigen Gedanken nach ihrer Verschriftung gesprochen, und bin inzwischen überzeugt, dass es damit mehr auf sich haben muss. Wie sonst wäre es zu erklären, dass auch die Originalgedanken nach der Niederschrift stumpf und langweilig zu werden scheinen, allen Stolz verlieren und meist nur noch Still in einem Winkel des Denkens vor sich hin brüten? Geschrieben werden heißt gebrochen werden. Den meisten von uns ist es nur nicht bewusst, weil wir jene Geschriebenen instinktiv meiden und uns nur mit ihnen befassen, wenn es gar nicht anders geht. Das Schreiben ist eine Tragödie, so sehr es den einzelnen Gedanken auch adeln mag. Natürlich bietet es die Möglichkeit zur Auferstehung, wo man sonst früher oder später einfach vergessen würde – so heißt es. Meine Erfahrung ist allerdings, dass schon mehr Vergessene als Aufgeschriebene zurückgekehrt sind, und die Vergessenen stets den weitaus lebendigeren Eindruck gemacht haben.