„Gib auf,“
rief der Zauberer mit gewaltiger Stimme.
„Du hast verloren! Die größten Ritter des Königs sind bei mir, und im Hinterhalt liegen die besten Bogenschützen des Reiches bereit. Wagst du es, dich zu rühren, so wird ein Hagel aus Lanzen und Pfeilen auf dich herniedergehen, der dich aufspießen und elendiglich verenden lassen wird! Zudem habe ich das mächtige Siegel von Kel'Shur vorbereitet, das...“

„Ist ja gut“,
rief der Drache dazwischen.
„Hast recht. Ich geb auf.“
„Was?!“
„Na, es hat offensichtlich keinen Sinn zu kämpfen. Ich geb auf. Ihr könnt mit mir machen was ihr wollt.“
„...“
Der Zauberer wusste offenbar vor Verblüffung nicht, was er sagen sollte.
„Ihr habt überhaupt keinen Plan, was mit mir zu tun ist falls ich aufgebe?! War ja klar...“
„Moment, warum sollte ich dir überhaupt glauben? Wer sagt mir, dass das nicht alles einfach eine gemeine List ist?!“
Es klang fast, als würde der Zauberer hoffen, dass es so war.
„Hmm...“
Der Drache überlegte kurz, dann bog er den langen Hals nach hinten und biss sich den rechten Flügel ab. Krachend zermalmten die Kiefer die Knochen, Splitter flogen durch die Luft. Aus dem Maul des Drachen und aus der Stelle, wo der Flügel gesessen hatte, floss ein bisschen Blut. Die Flügelhäute waren zäh, deswegen dauerte es eine Zeit lang, bis der Drache, allerdings immer noch mit ein paar Resten im Maul, fragen konnte:
„Reicht das?“
Der Zauberer stand jedoch nur da und sagte gar nichts.
„Nicht? Na gut...“,
und biss sich auch noch den linken Flügel ab und zerkaute und schluckte ihn.
„Nun?!“
„Es ist gut, hör auf! Was soll das?!“
„Na, du wolltest einen Beweis, dass ich mich ergebe; da dachte ich mir, wenn ich mir die Flügel abbeiße und auffresse, sollte das meine Unterwerfung ja wohl eindrucksvoll genug beweisen.“ „...“
„Habt ihr euch inzwischen überlegt, was ihr mit mir machen wollt?“
„...“
„Immer noch nicht? Schön, ich mach euch einen Vorschlag: Ich fresse mich einfach selbst auf.“
„Wie?!“
„Na, so“,
sagte der Drache, wandte den Hals und biss sich die Schwanzspitze ab, zerkaute und schluckte sie.
„Spinnst du? Warum tust du das?!“
„Na, du wolltest wissen, wie ich mich selbst auffresse, da dachte ich, ich fange einfach mal an, dann siehst du gleich, was ich meine. Oder hast du gemeint, warum ich mit der Schwanzspitze anfange? Irgendwo muss ich ja anfangen, sinnvollerweise fängt man an einem Ende an. Mit dem Kopf anzufangen, wäre aber unsinnig, womit sollte ich dann weiterfressen, also hab ich den Schwanz genommen. Das ist vollkommen logisch, meinst du nicht?“
“Ja, doch. Sicher.“
„Gut.“,
sagte der Drache, und biss das nächste Stück ab.
„Tut das nicht weh?“
„Doch.“
(antwortete der Drache mit vollem Maul)
„Warum tust du es dann?“
„Weil du mir keinen besseren Vorschlag gemacht hast.“
„...“
„Offenbar hast du immer noch keinen“,
sagte der Drache, und fraß weiter.
„Aber“,
meinte der Zauberer, während der Drache sich immer mehr verkürzte,
„das ist doch Selbstmord!“
„Ja“,
sagte der Drache.
„Und?“
„Warum willst du denn sterben?!“
„Schlicht und einfach deswegen, weil ich als Drache ein grauenhafter Versager bin. Sieht man schon daran, wie ihr hier einfach in meine Höhle spazieren konntet. Das hat mir endgültig gezeigt, wie erbärmlich ich bin.“
Er bog den Hals nach hinten und kam gleich darauf wieder nach vorne, mit einem großen blutigen Stück Fleisch zwischen den Zähnen.
„Ich bin als Drache nicht gut genug, weil ich in nichts, was einen Drachen ausmacht, gut genug bin. Siehst du, wie jeder Drache kann ich – konnte ich – fliegen, und auch halbwegs ordentlich, aber es gibt einfach andere, die es noch sehr viel besser können. Die wahre Kunstflieger sind. Als Flieger bin ich also unter den Drachen überflüssig.“
Er machte eine kurze Pause, um sich ein weiteres Stück Fleisch aus dem Schwanz zu reißen; dann redete er mampfend weiter:
„Ich speie natürlich auch Feuer, wie jeder Drache, und auch das kann ich ganz gut - um Ritter in ihren Rüstungen zu kochen oder Bauerndörfer in Brand zu setzen und so weiter reicht es wunderbar. Trotzdem gibt es andere Drachen, die noch viel größere und heißere Flammen spucken können als ich, die ganze Berge mit ihrem Feuer schmelzen. Also bin ich auch als Feuerspucker ganz und gar bedeutungslos und unwichtig unter den Drachen...“
Es folgte eine weitere Redepause, in der der letzte Rest des Drachenschwanzes im Schlund seines Besitzers verschwand. Der Zauberer nutzte die Gelegenheit:
„Aber musst du denn unbedingt bedeutend und wichtig sein?!“
Der Drache schluckte.
„Natürlich muss ich das. Jeder Drache muss in irgendeiner Form bedeutend und wichtig sein. Das ist das Schicksal und die Aufgabe eines Drachen. Ich verstehe wirklich nicht, wieso du das nicht verstehst...“
Er hatte während des Sprechens wieder seinen Hals nach hinten gebogen, wohl um abermals abzubeißen, hielt nun aber plötzlich inne.
„Hmm... das ist ein Problem.“
„Was?“
„Ich weiß nicht, womit ich weitermachen soll. Fresse ich zuerst meine Beine, verliere ich höchstwahrscheinlich das Gleichgewicht. Verspeise ich aber mein Hinterteil zuerst, dann fallen die Beine einfach rechts und links zur Seite... hm, ich werde mich wohl hinlegen müssen – ich darf doch? Nicht dass deine Bogenschützen dann plötzlich losfeuern...“
„Mach nur...“
„Danke.“
Es folgte ein unglaubliches Getöse, als der Drache seinen Leib mühsam und etwas tollpatschig – vermutlich kam er mit den veränderten Gleichgewichtsverhältnissen seines reduzierten Körpers nicht zurecht – aus seiner bisherigen vierbeinigen Standposition in eine Seitenlage brachte.
„Das sollte es tun“,
meinte er, und biss herzhaft in sein linkes Hinterbein, bevor er sich wieder dem Zauber zuwandte. Wie dieser das ständige Schmatzen seines Gesprächspartners ertrug, lässt sich nicht sagen. Vermutlich setzte ihm die übrigen Situation zu sehr zu, als dass er sich um Manieren hätte Gedanken machen können.
„Du bist doch ein Mensch. Bei euch hat doch auch jeder eine Bedeutung und eine Aufgabe, vom König über seine Fürsten und Ritter bis hinunter zu den Bauern. Sogar eure Bettler erfüllen einen Zweck, und eure stinkenden verlotterten Einsiedler, solange jemand da ist, der ihnen Almosen geben will, oder sie als heilig verehren. Und sobald es solche Leute nicht mehr gibt, gehen die Bettler und die Einsiedler ja auch zugrunde, weil sie keinen Zweck mehr haben, genauso wie die Könige zugrunde gehen, wenn keiner mehr von ihnen regiert werden will. Augenblick. Ich muss an das andere Bein...“
Der Zauberer brachte ein Nicken zustande, und die Höhle erbebte, als sich der Drache auf die linke Flanke rollte. Sobald die rechte Hinterpfote einigermaßen zerkaut war, redete er weiter.
„Mit mir ist es nicht anders. Nur geht es bei Drachen nicht darum, einen Zweck zu erfüllen, sondern, bedeutend zu sein. Was ich nicht bin.“
„Das ist doch ein vollkommen dämliches Konzept, mit dem bedeutend sein. Ich glaube kaum, dass andere Drachen das auch so sehen. Und wenn es dir so wichtig ist, dann geh doch irgendwohin, wo es keine anderen Drachen gibt, dann bist du der einzige Drache und damit in allem der beste.“
„Man sieht, du hast keine Ahnung von uns Drachen. Drachen gibt es überall, außer dort, wo kein Drache leben will, und dort würde auch ich nicht leben wollen. Außerdem geht es darum d e r Herausragendste zu sein, von allen Drachen, nicht von den Drachen im Umkreis von zehn Meilen.“
„Wenn das so wäre, dann müssten sich die Drachen ja dauernd selbst auffressen...“
„Es gibt nicht sehr viele Drachen, die so nichtsnutzig sind wie ich... aber es kommt durchaus vor. Du bis doch Zauberer? Also ein „gebildeter Mann“. Du solltest von Drachen ohne Flügel gehört haben, oder von solchen, die auch keine Beine mehr haben, oder nicht?“
„Aber doch nicht weil sie sie aufgefressen haben?!“
(Ein hysterischer Zauberer ist übrigens womöglich sogar noch schlimmer anzuhören als ein schmatzender Drache.)
„Natürlich. Allerdings, ob je einer so weit gekommen ist, wie ich, weiß ich nicht... vielleicht hätte ich mich besser informieren sollen... übrigens, wo wir schon dabei sind“,
der letzte Satz kam undeutlich dumpf und etwas genuschelt aus der Körpermitte des Drachen, bis wohin er sich inzwischen vorgearbeitet hatte,
„kannst du mir einen Rat geben? Ich müsste jetzt eigentlich mit dem Magen hier weitermachen; aber ich habe Angst, dass ich ohne Magen nicht mehr weiterfressen kann.“
Der Zauberer sagte nichts.
„Vermutlich ist es egal. Kauen kann ich ja auch ohne Magen. Ich versuch es einfach mal...“
Offenbar ging es wirklich, denn der Drache fraß danach genauso weiter wie zuvor.

„Solltest du nicht inzwischen tot sein?“
kam es irgendwann dann doch zögernd vom Zauberer, als die inneren Organe so ziemlich aufgebraucht waren.
„Ich weiß nicht. Ich hab das noch nie vorher gemacht. Ich denke mal, wir Drachen sind zäh. Vielleicht muss man auch einfach nur wollen.“
„Aber du hast nicht einmal mehr Lungen...“
Dieser Einwand war allerdings trotz seiner faktischen Schlagkraft nicht sonderlich überzeugend vorgebracht, genau genommen nur ein heiseres Flüstern, und so wundert es nicht, dass der Drache ihm keine weitere Beachtung schenkte. Vermutlich bekam er den Satz gar nicht mit, weil er gerade damit beschäftigt war, sein Herz zu verschlingen; oder er bekam es mit und wollte demonstrativ mit den Schultern zucken, ließ es dann aber sein, weil er, nur noch aus Vorderbeinen und Hals bestehend, Angst um seine Balance hatte.

„Und bist du nun zufrieden?!“,
fragte der Zauberer, als auch die Vorderbeine zerkaut waren und sich in den blutigen Brei gemischt hatten, der sich nach dem Verspeisen des Magens immer sichtbarer am Boden der Höhle sammelte.
„Es geht so. Aber um Zufriedenheit ging's eh nicht.“
„Offensichtlich... nur, deinen Tod hättest du wirklich einfacher haben können.“
„Darum ging es aber auch nicht wirklich. Vor allem ging es darum, endlich in etwas gut zu sein. Kein Lebewesen, von dem ich weiß, hat sich je bei vollem Bewusstsein vollständig selbst verspeist. Ich werde der erste sein!“
„Du spinnst. Aber es ist ja offensichtlich sinnlos, das zu sagen. Was kommt also jetzt?“
„Das Ende, was sonst?!“
„Und das heißt? Von dir ist nichts mehr übrig, was du noch fressen könntest – zu sterben scheinst du ja nicht so schnell... willst du mit deinem Halsrest langsam vor dich hinverbluten?“
„Etwas mehr geht immer“,
sprach der Drache, bog den Halsrest soweit er konnte, und noch ein Stück weiter, und biss sich selbst den Kopf ab.

Ich hab mich mal an Absätzen versucht... ist nicht so einfach bei einem Text, der so gut wie keine Einschnitte kennt, deswegen ist jetzt einfach vor und nach jeder wörtlichen Rede ein Absatz. Ob es das übersichtlicher macht?

Find ich auch :)

Coole Gechichte übrigens